DIE SPRACHE

 Der Dialekt von Alagna ist wie seine Bevölkerung deutschee Herkunft. Er ist eine Form vom Althochdeutschen, einer flexiven Sprache mit einer komplexen Syntax, drei Artikel für die Hauptwörter: männlich, weiblich, sächlich, die Fälle: Nominativ, Genitiv, Dativ, Akkusativ und Ablativ. Dieser Dialekt hat besondere Eigenschaften, aber auch viele Ähnlichkeiten mit den Dialekten der Walser-Gemeinschaften von Rima, Rimella, Gressoney und Davos, besonders was den Wortschatz der Haus-, Viehzucht-, und Feldarbeiten betrifft, die weniger als andere Tätigkeiten Aub eneinflüb e gehabt haben.

Der Urdialekt ist einige Jahrhunderte lang unverändert geblieben und bis zur Mitte des XIX. Jahrhunderts gut erhalten. Dann haben ihn verschiedene Ursachen zum fortschreitenden Verfall geführt und nach einer Situation von Zweisprachligkeit in den ersten Jahrzehnten des XX. Jahrhunderts ist der Dialekt von Alagna heute vor dem endgültigen Aussterben.

Heutzutage sprechen nicht mehr als 15 Menschen in einer Bevölkerung von über 450 Personen noch Titcu. Meistens sind das Frauen zwischen 70 und 80 Jahren, die ihn auf der Strasse als Grussformel oder in den Gebeten benutzen. Diese noch Titcu-sprechenden Menschen geben aber zu, dass sie, wegen des geringen Gebrauchs, viele Worte vergessen haben. Ihre Kinder verstehen meistens diesen Dialekt, aber sie kennen nur einige Worte und mit unsicherer Aussprache.

Die Analyse von den Verfall-Ursachen dieses Dialekts soll etwas berücksichtigen: es handelt sich um eine Sprachinsel, deren Überleben an zwei Elemente geknüpft war. Einerseits das Fehlen vom Sprachaustausch mit der italienischen Gemeinschaft, andererseits waren die wirtschaftlichen Kontakte zu den deutschsprechenden Gemeinschaften dies- und jenseits der Alpen fortdauernd.

Schon im XVII. Jahrhundert beschäftigte die Ausbeutung der Goldmine von Alagna seitens der Familie D’Adda ausländische Minenarbeiter. Am Anfang des XVIII. Jahrhunderts gehörte das Sesia-Tal nicht mehr dem lombardischen Staat an, sondern den Savoia, was zu indirekten aber wichtigen Auswirkungen auf die Sprache führte. Die Minenindustrie bekam neue Impulse, so kamen viele ausländische Gastarbeiter, die die Zusammensetzung der Bevölkerung änderten. Diese Arbeiter bildeten eine Minderheit, die in den inneren Ortsteilen konzentriert war. Ausserdem konzentrierte sich die traditionelle Auswanderung der Bewohner von Alagna nicht mehr in Richtung der deutschsprachigen Länder, sondern nach Frankreich und Savoia. Diese Auswanderung, besonders der Gipsarbeiter und der Steinmetze, aber auch von Paaren und ganzen Familien, war überwiegend jahreszeitlich bedingt und stellte also eine dauernde Bewegung von Menschen nach auswärts dar. Im Laufe des XIX. Jahrhunderts leisteten einige Faktoren einen grossen Beitrag zur Öffnung gegenüber der äusseren Welt: der Tourismus, der aus Alagna einen wichtigen Sportort am Fusse des Monte Rosa machte; die fortschreitende Italianisierung des sabaudischen Staates und die Tendenz seitens der Kinder der Minenarbeiter zu gemischten Heiraten.

Der deutsche Dialekt überlebte noch gut in den äusseren Ortsteilen, aber in den inneren war er untergegangen. So hatte Alagna schon in der zweiten Hälfte des XIX. Jhrhunderts keinen dialektsprechenden Pfarrer mehr, was früher für die Beichte notwendig war, auch nachdem der Gebrauch des Deutschen für die Predigt und die religiösen Funktionen verboten worden war: das bedeutet, dass wahrscheinlich alle Italienisch konnten oder einen italienischen Dialekt. Auch in der Schule wurde der Gebrauch des Italienischen vorgeschrieben. Einerseits wurde der deutsche Dialekt immer in geringeren Bereichen gebraucht und so wurde er immer ärmlicher, andererseits sprachen ihn immer weniger Menschen wegen der gemischten Heiraten mit Leuten ausserhalb des Dorfes.

Bis zum zweiten Weltkrieg sah man, wenn beide Eltern Titcu sprachen, die Kinder die Möglichkeit hatten ihn zu erlernen, wenn dagegen nur die Mutter Titcu sprach und wenn die Situation günstig war, gab es noch gute Möglichkeiten, dass die Sprache erlernt wurde. Wenn aber nur der Vater titcu sprach, bestanden geringere Möglichkeiten die Sprache zu vererben.

In den letzten Jahren hatte der Dialekt immer mehr an Prestige verloren, nicht nur in der Kirche und in der Schule, sondern auch zu Hause, weil auch die dialektsprechenden Eltern lieber Italienisch mit den Kindern sprachen, um ihre soziale Einführung zu begünstigen.

Heutzutage wird dagegen das Kulturgut der Vergangenheit mit seinen besonderen Spracheigenschaften wiederentdeckt, man muss aber anerkennen, dass die Sprache, die diese Gemeinschaft so tief gekennzeichnet hat, verloren gegangen ist. Man kann die Laute der alten Sprache im Dorf nur in den Liedern der Volksgruppe "Die Walser im Land" hören oder während der Titcu-Kurse, die seit Jahren eine Frau von Alagna gibt. Spuren dieses alten Dialekts bleiben aber in der Toponomastik: alle Ortsteile und die Almen haben deutsche Namen.

 

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